Die Erfenschlager mit der Einnahme

Die Altchemnitz — Ehrenfriedersdorfer Halbchausee und Ihr Wegeverband

Zollhaus ‐ „Einnahme“

 

Noch bevor das erste Chemnitzer Wasserwerk 1875 an der Straße von Altchemnitz nach Erfenschlag in Betrieb genommen wurde, baute der Wegeverband, den die Gemeinden Altchemnitz, Erfenschlag und Einsiedel u.a. gebildet hatten, ab 1850 die Altchemnitzer ‐ Ehrenfriedersdorfer Halbchaussee. Entsprechend den gewachsenen Anforderungen wurden so die Dörfer verkehrstechnisch besser erschlossen. Für die industrielle Entwicklung war das eine wesentliche Voraussetzung.

 

Unter den im Flurbuch von 1838 eingezeichneten „ Communicationswegen“ war die heutige Erfenschlager Straße, von Altchemnitz nach Einsiedel führend, noch nicht verzeichnet. Die mit dem Bau der Halbchaussee entstehende Straße hatte man aber schon mit unterbrochener Linienführung markiert (Vgl. Flurplan: S. 8).

Nach der Neugliederung der wettinischen Lande unter Herzog Moritz von Sachsen in Kreise und Ämter im Jahre 1547 gehörte Erfenschlag bis 1843 zum Amt Wolkenstein. Erfenschlag war damit innerhalb Sachsens ein Grenzort zwischen den Ämtern geworden. So ist es auch verständlich, dass für die Neuanlage der Straße in das Erzgebirge nicht nur der Staat, sondern auch die anliegenden Gemeinden zur Kasse gebeten wurden. Um das Geld einzutreiben, plante man den „Neubau des Chausseehauses“. Dazu wurden 15 Ruten Land, nach heutigem Maß 277 m2, benötigt. Acht Ruten erwarb man vom Gutsbesitzer Heinrich Gränitz aus Erfenschlag, 6 Ruten von der Gemeinde Erfenschlag und 1 Rute vom Flurstück 606 des Flurbuches Altchemnitz. Im Jahre 1850 bauten die Gemeinden Altchemnitz, Erfenschlag und Einsiedel unmittelbar an der Wegegabelung Altchemnitz, Erfenschlag und Reichenhain das Zollhaus.

 

Der von der Gemeinde Erfenschlag eingesetzte Einnehmer kassierte z. B. im Jahre 1908 für die Überquerung der Straße von Chemnitz oder Reichenhain nach Erfenschlag folgende Beträge:

vierrädriger Kraftwagen                                                                                                 0,24 Mark

dreirädriger Kraftwagen                                                                                                 0,24 Mark

Zugtiere an Fuhrwerken                                                                                                 0,12 Mark

Pferde und Esel beritten oder mit Sattel                                                                 0,12 Mark

frei getriebene größere Tiere (Pferde, Ochsen, Esel)                                         0,04 Mark

frei getriebene kleinere Tiere (Kälber, Fohlen, Ziegen, Schafe)                     0,02 Mark

 

Die Geldeinnahme wurde schließlich zum Hemmnis für die Verkehrsentwicklung. Die Bauern von Reichenhain, die ihr Getreide in die Mühle nach Erfenschlag bringen wollten, fuhren nicht auf der Straße, sondern wählten Feldwege, um ohne Zoll nach Erfenschlag zu gelangen. Die Gemeinde Erfenschlag führte gegen einen Chemnitzer Kaufmann von 1908 bis1912 einen Strafprozess, weil dieser die 24 Pfennige Wegegeld nicht bezahlt hatte.

  

Nach längeren Debatten wurde 1912 die Erhebung des Wegegeldes eingestellt. Das Haus, das der Geldeinnehmer Lemmel noch bis zu seinem Tode bewohnte, wurde Anfang 1939 abgebrochen. Heute erzählen sich nur noch die älteren Einwohner der angrenzenden Stadtteile, dass in unmittelbarer Nähe des 2001 neu errichteten Kreisverkehrs einst das Zollhaus, im Volksmund „die Einnahme“, stand. Der Begriff ist gelegentlich bei Wegebeschreibungen noch zu hören.

 

Quelle: Heimatland Sachsen Verlag

so könnte die Halbchaussee ausgesehen haben / Quelle: Pixabay.com
so könnte die Halbchaussee ausgesehen haben / Quelle: Pixabay.com

Die Altchemnitz — Ehrenfriedersdorfer Halbchausee und Ihr Wegeverband

 

 Mit der industriellen Revolution gewann zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Ausbau des Straßensystem zwischen den Gemeinden und en Industriestandorten eine große Bedeutung. Heute fragen wir, wie und auf welchem Wegen kam zum Beispiel die dazu verarbeitende Baumwolle nach Erfenschlag und Einsiedel in die nach 1800 erbauten Baumwollmaschienenspinnereien der Gebr. Schnabel und Eismann. Man muss sich vorstellen, dass die Baumwolle in große Ballen gepresst aus Mazedonien, Griechenland, aber auch aus Nordamerika über das Wasser nach Hamburg und von da die Elbe hinaus bis Riesa gelangte. Um in Erfenschlag und Einsiedel anzukommen, bedurfte es der Pferdefuhrwerke, die von Bauern, aber speziell auch von Pferdefuhrwerk-unternehmen auf dem Land befördert wurden.

 

Die sogenannten Staatsstraßen (fiskalische Straßen) gab es schon über Jahrhunderte. Der Straßenbau wurde meist dann mit Nachdruck betrieben, wenn eine Notlage unter der Bevölkerung herrschte oder eine besondere Dringlichkeit vorlag. In und um Chemnitz hatte man nach 1817 die Zschopauer Straße und die Annaberger Straße neu errichtet. Diese Straßen, die gegenüber den holprigen Landstraßen künstlich ausgebaut wurden (deshalb auch Kunststraßen genannt), galten als Chausseestraßen. 

Das Befahren der „chaussierten“ Straßen war bedeutend besser, vor allem leichter für die Zugtiere. Demzufolge waren sie auch kostengünstiger für die Fuhrleute. Die zeitgenössische Literatur schrieb darüber, das ein Pferd auf einer guten Chaussee 36 Zentner, während es auf schlechtem Sandweg nur 6 Zentner ziehen konnte. Rechts und links der Chaussee waren Bäume gepflanzt. Es war demnach ein wesentlicher Unterschied ob der Transport auf einer nach festen Normen gebauten Straße oder auf einem historisch gewachsenen Kommunikationsweg, wie man die Verbindungswege zwischen Ortschaften im 19. Jhdt nannte, erfolgte.

 

Um die Verbindungen zwischen den einzelnen Orten herzustellen, die abseits der Staatsstraßen lagen, mussten sich die Gemeinden selbst helfen. In diesem Sinne waren die Straßenbauarbeiten stets auch öffentliche Arbeiten.

In den Jahren der Wirtschaftsnot 1847/48 begann in Erfenschlag und Einsiedel der Bau der Altchemnitz — Ehrenfriedersdorfer Chaussee. Die 32 KM lange Straße führte durch die Gemeinden: Bernsdorf, Altchemnitz, Erfenschlag, Einsiedel, Dittersdorf, Weißbach, Grießbach, Gelenau, Venusberg, Herold bis nach Ehrenfriedersdorf. Durch den Ausbau der Verbindungsstraßen zwischen den sich entwickelnden Industriedörfern hoffte man, dass dadurch auch noch bessere Bedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung geschaffen wurden.

 

Die Kosten für den ersten Bauabschnitt in Erfenschlag und Einsiedel betrugen 8965 Taler, 12 Neugroschen und 3 Pfennige. Staat und Gemeinden hatten das Projekt finanziert. Für die Gemeinden war es deshalb auch legitim, als Äquivalent für den hohen Kostenaufwand, Wegegeld zu erheben. Die Königlich Sächsische Staatsregierung hatte mit Festlegungen vom 12. Juli 1856 und 4. August 1876 den zum Wegeverband gehörenden Städten, Gemeinden und Gutsbezirken die Konzession zur Eintreibung von Wegegeld ausgesprochen. In drei sogenannten Einnahmen kassierte man an der Strecke zwischen Altchemnitz und Ehrenfriedersdorf das Wegegeld. Die Gemeinde Erfenschlag unterhielt das Zollhäuschen im Auftrag der Verwaltung des Wgeverbandes. Es stand an der Stelle, wo heute der Kreisverkehr Erfenschlager-, Reichenhainer- und Gornauer Straße einmünden. Also in dem, mittlerweile bewaldeten, Grünstreifen zwischen Reichenhainer und Erfenschlager.

 

Mit der Zunahme des Wirtschaftsverkehrs zwischen Städten und Gemeinden stellte diese Maßnahme allerdings ein Hindernis für die Wirtschaftsentwicklung dar. In einer von der Verwaltungsdeputation gefertigten Denkschrift hieß es 1980:

"Vor den Toren der Großstadt Chemnitz steht aber eine Wegegeldeinnahme; jeder Geschirrbesitzer … muß also gewissermaßen Einlassgeld bezahlen."

Der bürgerliche Bezirksverein von Altchemnitz hatte schon 1903 angemahnt:

"Seit Jahren sind wir bestrebt für uns die Wegegeldeinnahme in Erfenschlag in Wegfall zu bringen…

Es ist ja hinlänglich bekannt, dass unzählige Geschirre direkt am Wegegeldhäuschen umkehren, um das Wegegeld zu sparen."

  

Immerhin kassierte der Wegegeldverband, wie aus den Unterlagen des Stadtarchivs Chemnitz ersichtlich ist, zwischen 1900 und 1912 jährlich über 10.000,00 Mark. Er bezahlte davon die Geldeinnehmer und setzte eine beträchtliche Summe für die Unterhaltung der Straße ein.

 

So kurios es klingt, die Gemeinde Erfenschlag hatte auf Grund der Meldung des Geldeinnehmers Lemmel gegen den Chemnitzer Kaufmann Friedrich Edmund Löscher im Jahre 1908 Anzeige erstattet, weil dieser an der Wegegeldeinnahme Erfenschlag vorüber gefahren ist, "ohne dass hierfür das 24 Pfennige betragende Wegegeld entrichtet worden ist". Löscher unterhielt am Johannisplatz, dem damals verkehrsreichsten Platz der Stadt Chemnitz, ein Automobilhaus. Schließlich wurde das Königliche Amtsgericht Chemnitz angerufen. Dieses entschied im November 1910, nach zwei Jahren Hin und Her, dass der Beweis für die Schuld von Löscher in der Hauptverhandlung nicht erbracht werden konnte. Man gab die Akten an den Gemeindevorstand von Erfenschlag zurück und stellte ihm anheim, den Strafbescheid gegen Löscher zurückzunehmen. Trotzdem dauerte es noch bis Ende 1912, bis diese kuriose Gelderhebung durch Vergleich und Mitwirkung aller Beteiligten aufgehoben wurde.

 

Die Chemnitzer Presse schrieb Anfang 1939:

"Das Häuslein an der Reichenhainer und Erfenschlager Straße ist … jüngst dem Erdboden gleichgemacht, um der Verkehrssicherheits willen. Nur ein Steinhaufen bezeichnet noch die Stätte, wo die Wegegeld-Einnehmer gewohnt haben."

 

Dr. sc. Gert Richter - Bürgerverein für Chemnitz-Erfenschlag e.V.